Sie hat noch lange nicht genug

  12.09.2024 Reportagen

Den 41. Geburtstag hat Eva Hürlimann-Haueter, die dreifache Mutter, bereits hinter sich. Dies hindert sie nicht daran, sportliche Leistungen zu vollbringen, die für «Otto Normalverbraucher» nicht nachvollziehbar sind. Sie ist Weltrekordhalterin im dreifachen Ironman (drei Wettbewerbe in drei Tagen) und im fünffachen Ironman. Kürzlich liess sie am «Brezel Quintuple», an dem es gilt, fünf Triathlons ohne Unterbruch zu absolvieren, 32 Männer und 9 Frauen hinter sich und sicherte sich einen Platz auf dem Siegertreppchen. Neun Athleten gaben den unmenschlichen Kampf auf.

Die Voraussetzungen waren für die in Krattigen lebende Bernerin alles andere als ideal – wer weiss, wäre sie nicht von starken Beschwerden geplagt worden, hätten Sieger Kenneth Vanthuyne und die Gewinnerin bei den Frauen, Mareile Hertel, den Atem von Eva Hürlimann wohl noch stärker im Nacken gespürt. Überhitzung mit einem Sonnenstich als Folge, starker Durchfall und das Shermer’s-Neck-Syndrom (eine Art Äckegschtabi nur viel schlimmer, der Kopf sinkt nach unten) waren schliesslich verantwortlich dafür, dass sie auf dem Rad, ihrer stärksten Disziplin, nicht mehr Vorsprung auf die Konkurrenz herausholen konnte. Wie kam es zu all diesem Missgeschick, wollen wir von Eva Hürlimann wissen.

«Das Malheur begann bereits beim Schwimmen. In Colmar, wo der Wettbewerb stattfand, herrschte eine brütende Hitze. Die Wassertemperatur im Schwimmbecken stieg auf 30 Grad, so dass ich mich immer wieder abkühlen musste. Mit meinem Neopren-Anzug und Badekappe war ich viel zu warm angezogen.» Kopfschmerzen und ein Sonnenstich waren die Folge, doch trotz all der Widerlichkeiten stieg Eva Hürlimann nach den in weniger als sieben Stunden geschwommenen 19 Kilometern im Becken nach einer ausgiebigen und kühlenden Dusche sogleich um aufs Rad. Kurz nach Beginn der auf einer Rundstrecke zu absolvierenden 900 Kilometer erlitt Eva Hürlimann das sogenannte Shermer’s-Neck-Syndrom. «Ich fuhr mit kühlenden Tüchern im Nacken, als ich plötzlich bemerkte, dass ich den Kopf gar nicht mehr anheben konnte. Mehrere hundert Kilometer absolvierte ich dann mit nur einer Hand am Lenker, weil ich mit der anderen Hand den Kopf halten musste. In der Nacht wurde dies zu gefährlich, denn mit nur einer Hand und ohne auf die Strecke schauen zu können, wurde das Unfallrisiko zu gross.» Eva Hürlimanns Betreuer bauten unter der Regie ihres Lebenspartners Daniel Gruber eine Stütze, auf der die Athletin ihren Kopf auflehnen konnte. Trotz all der Probleme überquerte Eva Hürlimann nach weniger als 38 Stunden und 900 Kilometern Fahrt die Ziellinie und machte sich auf, die letzte Prüfung, die 211 Kilometer lange Laufstrecke, hinter sich zu bringen. Trotz Blasen an den Füssen, blutunterlaufenen Zehennägeln und noch unter den Folgen des Sonnenstichs, brachte die Bernerin die Laufstrecke in weniger als 34 Stunden hinter sich und lief schliesslich als Gesamtdritte in 82:18:53 (rund drei Stunden Schlaf inklusive) ins Ziel.

Sieg, nicht Niederlage
An ihren Motivationsvorträgen wird Eva Hürlimann oft die Frage gestellt, wie sie mit Niederlagen umgehe. «Für mich gibt es keine Niederlagen. Ich lerne immer etwas dazu und entwickle mich weiter, deshalb fühlt sich jedes Rennen wie ein Sieg über all die zu überwindenden Krisen an.» Bei unserem Besuch wenige Tage nach dem Quintuple ist Eva Hürlimann topfit und bereits hundertprozentig erholt. Schuhe trägt sie zwar nicht – «ein paar Zehennägel werden in den nächsten Tagen wohl abfallen» – doch für sie ist bereits wieder der Alltag eingekehrt. Sie pflegt und verwöhnt ihre Gäste in «Evas Seeblick», ihrem Gästehaus mit dem atemberaubenden Blick auf den Thunersee, und ist um das Wohl ihrer Kinder besorgt.

Keine Verbissenheit, sondern Spass
Wer vermutet, dass sich Eva Hürlimann vor dem Rennen in Colmar während Monaten verbissen auf das Ereignis vorbereitet hat, liegt falsch, und das ist das Erstaunlichste an den Erfolgen der Triathletin. «Klar habe ich mich seriös vorbereitet, doch nicht mit stundenlangen Trainings. Ein Schuhwechsel bereitete mir Probleme, ich bekam Schmerzen in den Hüftgelenken, konnte drei Monate lang nicht laufen, doch als ich wieder auf die alte Schuhmarke umstieg und erstmals seit Jahren bei Getback in Thun die Physiotherapie besuchte, war schon bald alles wieder gut.» In der letzten Woche vor der Abfahrt nach Colmar ging es Eva Hürlimann gemächlich an. «Ich trainierte nur noch sehr wenig, denn bei einem solchen Anlass muss man vor dem Start ausgeruht und gierig auf Sport sein. Zwei Tage vorher sind wir in einem Camper angereist, am Tag vor dem Rennen gab es genügend Teigwaren und Müesli». Es galt, gut genährt an den Start zu gehen, denn während dem Rennen verlor die Modellathletin ein paar Kilo an Gewicht. «Während dem Rennen verpflegte ich mich unter anderem mit einem Shake, bestehend aus Rösti und Spiegelei, alles ohne Zucker. Wegen den Magenproblemen nach dem Schwimmen gab es auch Weissbrot und Bouillon. Erst gegen Ende des Rennens kamen etwas Cola und Energieriegel dazu; «einmal genehmigte ich mir auch einen der bekannten Colmar-Brezel», erzählt sie mit einem strahlenden Lächeln.

Familiäre Atmosphäre
Am Wettbewerb in Colmar, an dem sie erstmals teilnahm, schätzte die Bernerin auch die familiäre und kollegiale Atmosphäre. «Mit meiner härtesten Konkurrentin, der Deutschen Mareile Hertel, verstehe ich mich prächtig.» Die beiden spornen sich auch immer wieder zu noch schnelleren Zeiten an. «Zwischendurch, vor allem beim Radfahren, unterhielten wir uns und gaben uns gegenseitig Tipps. Allgemein ist die Stimmung an diesen Events sehr locker und feuern die Betreuerteams auch die anderen Athletinnen und Athleten an.»

Noch grosse Ziele
Ein Ende der grossartigen Karriere Eva Hürlimanns ist vorderhand nicht in Sicht. Ihre Erholungsphasen sind äusserst kurz, sie benötigt auch nicht die überdimensional langen Trainingszeiten, die man bei solch eindrücklichen Leistungen erwarten könnte. Als Nächstes will Eva Hürlimann ihren eigenen, im Jahr 2018 in Buchs aufgestellten Weltrekord mit fünf Ironmans am Stück, angreifen. «Damals fühlte ich mich nicht in bester Verfassung, diesen Rekord will ich demnächst verbessern, denn ich weiss, dass es möglich ist.» Für Uneingeweihte: Die Weltrekord-Zeit für den Quintuple liegt bei 66:62:22 Stunden. Und von ihr selbst gefährdet ist auch der Weltrekord des dreifachen Triathlons in drei Tagen, den Hürlimann 2023 in 36:35:28 Stunden aufstellte. Grenzen scheint die Powerfrau aus Krattigen nicht zu kennen. Anders wäre es kaum zu erklären, dass sie Spass hat, diese Strapazen, die für sie keine sind, zu ertragen. «Vorerst ist Pause angesagt, geht es mit den Kindern und dem Lebenspartner ins Schwimmbad und auf eine Hausbootfahrt ins Elsass.» Auch die kurzen Abendausfahrten auf dem Rad mit ihrem Schatz, die 47 Kilometer, die sie hin und wieder ganz locker bei einer Runde um den Thunersee absolviert, finden noch nicht wieder statt.
Pierre Benoit

Persönlich
Eva Hürlimann-Haueter wurde am 27. Januar 1983 in Bern geboren. Sie wuchs im Seeland auf und lebt heute in Krattigen. Sie ist Weltmeisterin und Weltrekordhalterin im Quintuple-Ultratriathlon und im Triple one per day. Eva Hürlimann ist alleinerziehende Mutter, führt Evas Seeblick in Krattigen und hält Motivationsvorträge.

 


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