Platzgerclub Thun: Nahe am Schwirren – nahe am See

  23.05.2024 Sport-Reportagen

Wer sich aufmacht, dem Platzgerclub Thun einen Besuch abzustatten oder an einem der beliebten Schnuppertrainings teilzunehmen, gerät zuerst einmal ins Staunen. Direkt am Thunersee befindet sich die gepflegte Anlage. Der Rasen ist frisch gemäht, auf zwei Ries wird hochkonzentriert geworfen und am Tisch daneben werden die Resultate fein säuberlich notiert.

«88, 92, 77» – ruft Roland Oesch, der im Moment den Abstand der geworfenen Platzgen vom Schwirren misst. Daneben notiert Präsident Ueli Dummermuth die Resultate auf einem vorgedruckten Blatt mit dem Titel «Verbandswettspiel». Es wird ernsthaft trainiert, die Konzentration ist hoch – die Platzger lassen sich weder von den Enten im See noch von den nebenan trainierenden Dürrenast-Fussballern ablenken. Damit dies so bleibt, haben die Thuner Platzger kürzlich sogar einen Mentaltrainer engagiert. «Dies soll uns helfen, die Trainingsresultate auch in den Wettspielen zu erreichen, was uns zuletzt nicht immer gelang», erklärt Ueli Dummermuth.

Roland Kästlis Glanzresultat
Plötzlich wird es mucksmäuschenstill auf der Anlage. Roland Kästlis erste Würfe sind so präzis und nahe oder ganz am Schwirren gelandet, dass sich ein Glanzresultat abzeichnet. Und siehe da: Nach zwölf Würfen stehen 1119 Punkte zu Buche, ein Durchschnitt von 93,25, was bedeutet, dass die Platzge pro Wurf aus einer Distanz von 17 Metern eine Entfernung von lediglich sieben Zentimetern vom Schwirren entfernt lag. Kästli strahlt wie ein Maienkäfer auf dem Misthaufen: «Ein solches Resultat ist mir seit Jahren nicht mehr gelungen, früher war ich oft so präzis, doch das ist schon lange her – das Trainingslager in Spanien scheint sich auszuzahlen», sagt Kästli.

Trainingslager in Spanien
Trainingslager im Ausland, das steht normalerweise bei Profi-Fussballklubs vor Saisonbeginn auf dem Programm, doch bei älteren Herren, die beim Platzgen ihrem Hobby frönen? «Wir reisten mit einer siebenköpfigen Gruppe nach Santa Susanna an die Costa del Maresme, unweit von Barcelona, zusammen mit 60 Platzgern aus anderen Vereinen», lässt uns Martin Schertenleib wissen. Nicht nur für «Rekordmann» Roland Kästli, sondern auch für Martin Schertenleib, der als Hüttliwart amtiert, scheint sich das Trainingslager positiv ausgewirkt zu haben, gelang ihm doch dort der Aufstieg zum A-Platzger, der höchsten Kategorie.

Meisterschaft in der B-Klasse
Selbstverständlich nehmen die Thuner auch an der Meisterschaft teil, die vom Verband in vier Stärkekategorien A, B, C und D unterteilt ist. Thun ist in der zweitobersten Kategorie B aktiv und spielt zusammen mit Belp, Schächli (Steffisburg), Lyssach, Ursprung-Bramberg und Utzenstorf um den Aufstieg in die A-Liga. «Wir müssen uns eher nach hinten orientieren, doch seit wir das Mentaltraining hinter uns haben, wissen wir, dass man sich hohe Ziele stecken muss und nicht vom Abstieg reden darf», sagt Ueli Dummermuth mit einem Lächeln.
Neben der Mannschafts-Meisterschaft nehmen die Thuner an verschiedenen Anlässen teil, auch als Einzel-Platzger. So erreichten am kürzlich in Biberist durchgeführten Einzelcup mit René Stauffer und Martin Schertenleib zwei Thuner den Sechzehntelfinal und qualifizierte sich Roland Oesch für die Hauptrunde. Grosses vorgenommen haben sich die Thuner für ihren Auftritt am Eidgenössischen Hornusserfest vom 23./24. August in Höchstetten, wo auch Platzgen auf dem Programm steht. Die Platzgen werden dort im Rahmen des Jubiläums 90 Jahre Platzgerverband zwar nicht so weit wie die Nousse der Langschläger fliegen, doch das ist auch nicht notwendig. «Möglichst nahe am Schwirren sollen sie landen, dafür trainieren wir fleissig», sagt Martin Schertenleib, der nicht nur an den offiziellen Trainings am Mittwoch teilnimmt, sondern auch sonst viel Zeit auf der Anlage verbringt. «Habe ich den Rasen gemäht und mit den Nachbarn geplaudert, werfe ich immer noch ein paar Platzgen – ohne geht nicht, es ist fast wie eine Sucht», erzählt er dem Besucher mit einem Strahlen im Gesicht.

Die Nachwuchssorgen
Wie viele andere Traditionssportarten tun sich auch die Platzger schwer mit der Rekrutierung von jungen Platzgern. Doch bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt. Dank den Schnuppertrainings, an denen jeweils am ersten Mittwoch in den Sommermonaten Interessierte in die Geheimnisse des Platzgens eingeweiht werden, sollen neue Mitglieder dem Klub beitreten. Auch der Thuner Kids Day im vergangenen Jahr war ein voller Erfolg. Ueli Dummermuth: «Die Kinder durften die Sportarten, an denen sie teilnehmen wollten, selbst auswählen. Zu unserer Überraschung entschieden sich viele für Platzgen – auf unserer Anlage herrschte Hochbetrieb.»
Pierre Benoit


Platzgerklub Thun

Gegründet 1953
9 Aktivmitglieder (1 Frau und 8 Männer)
Meisterschaft in der Liga B
Präsident: Ueli Dummermuth
Wettspielleiter: Markus Wenger
Anlage am Pfaffenbühlweg 35 in Thun mit zwei Ries und Klubhaus.
Thun ist Mitglied des 1933 gegründeten Kantonalbernischen Platzgerverbands. Platzgen wird im Kanton Bern in 42 aktiven Vereinen gepflegt, im Oberaargau, im Mittelland und den Regionen Bern, Thun und Biel. www.platzgerclubthun.ch


Das ist Platzgen

Mit dem Ziel, die Platzge möglichst nahe an den Schwirren zu werfen, stellt sich der Werfer hinter die 17 Meter lange Wettkampfbahn und wirft die Platzge ins Ziel, das einen Durchmesser von 140 Zentimeter aufweist und mit Lehm gefüllt ist. Für die Wertung entscheidend ist die Distanz, in der die Platzge vom Schwirren entfernt liegen bleibt. Diese wird gemessen und die Anzahl Zentimeter ergeben den Punkteabzug von 100. Liegt die Platzge beispielsweise neun Zentimeter vom Schwirren entfernt, ergibt dies 91 Punkte. Berührt die Platzge den Schwirren, gilt der Wurf 100 Punkte.

Die Platzge besteht aus gehärtetem Stahl. Form und Gewicht sind nicht vorgeschrieben, der Höchstdurchmesser darf 18 cm nicht überschreiten. Die meisten heutigen Platzgen sind handförmig, mit fünf Zacken, einem Ahornblatt ähnlich. Das Gewicht liegt zwischen 1 und 3 Kilogramm.


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