Deshalb wurde aus dem Allround-Fussballer ein Spitzen-Schiedsrichter

  18.07.2024 Sport-Reportagen

Stefan Horisberger ist Schiedsrichter. Nicht irgendwo, sondern in der obersten Schweizer Liga, genannt Super League. Als Unparteiischer steht er oft im Mittelpunkt, auch wenn sein Ziel in jedem Spiel das gleiche ist: Er will die Partie so leiten, dass der Beobachter ihn möglichst gar nicht wahrnimmt. Gelingt ihm dies, ist klar, dass ihm eine gute Leistung gelungen ist, ohne Fehler, die zu Diskussionen auf dem Spielfeld und in den Medien und der Öffentlichkeit führen.

Je gegen 100 Spiele hat Horisberger in den letzten fünf Jahren in der Super League und Challenge League geleitet, dazu einige im Schweizer Cup – der Thuner ist ein vielbeschäftigter Mann. Zuletzt war er am sogenannten Powerweekend in Heimberg als Leiter der Partie zwischen dem FC Thun und dem FC Zürich engagiert – kein Zufall, ist er doch beim Schweizerischen Fussballverband (SFV) vom organisierenden FC Heimberg gemeldet, der heuer nicht «nur» das 90-Jahr-Jubiläum, sondern auch den Aufstieg in die 2. Liga regional feiert.
Mit einem Lächeln auf den Lippen erzählt der bald 36-Jährige, warum er heute im Spitzenfussball als Arbiter und nicht als Spieler unterwegs ist. «Ich spielte in Heimberg in den Junioren, dann auch bei den Aktiven, auf allen möglichen Positionen, vom Torhüter bis zum linken Flügel. Meine Trainer sind wahrscheinlich auf der Suche, welches für mich die ideale Aufgabe sein könnte, nicht fündig geworden.»

Durch Zufall Schiedsrichter
Zur Pfeiferei fand Horisberger allerdings nicht, weil sein fussballerisches Talent offenbar überschaubar war, sondern durch Zufall. «Ein Nachbar von mir leitete Nachwuchstrainings und fragte mich, ob ich nicht das Abschlussmätschli pfeifen könnte. Der erste Schritt war getan. In der Folge besuchte ich vom SFV organisierte Spielleiterkurse und konnte erste Spiele in der U13-Meisterschaft leiten. Nach diversen Weiterbildungen fand ich Aufnahme in der Talentgruppe und stieg danach Stufe um Stufe auf.»

Am 5. November 2019 war es dann soweit: Auf der Neuenburger Maladière pfiff Horisberger sein erstes Spiel in der Super League. Xamax und Servette trennten sich 2:2 und der Neuling in schwarz musste sieben Mal eine gelbe Karte zücken.
Wie sieht es mit dem nächsten Karriere-Schritt, der Qualifikation als FIFA-Ref, aus, wollen wir von Stefan Horisberger wissen. «Nein, da bin ich schon zu alt, da müssten schon sehr viele der sieben FIFA-Schiedsrichter zurücktreten. Der Schweiz stehen nur sieben Plätze zur Verfügung, bei Änderungen kämen sicher Jüngere zum Zug.»

Ein grosser Aufwand
Der Aufwand, den ein Spitzenschiedsrichter heute betreiben muss, ist immens. Vom SFV wird Horisbergers Einsatz mit einem 20-Prozent-Pensum und den Prämien für die geleiteten Spiele honoriert. Rund sieben bis acht Stunden ist er mit Training und Spielleitung pro Woche engagiert. «Die Trainings, bestehend aus Sprints, Intervall und Waldlauf, brauchen viel Eigendisziplin und Flexibilität, man ist oft allein und auch bei misslichem Wetter unterwegs. Der Vorteil ist, dass man sich die Zeiten für die Übungseinheiten selbst einteilen kann», sagt Horisberger. Die Sommerpause hat er zum Entspannen und Kopf leeren genutzt, doch jetzt geht es wieder los. «Nach der willkommenen Pause freue ich mich auf den Start der neuen Saison und bin voll motiviert.» Der erste Auftritt auf heimischem Boden beim Powerweekend ist jedenfalls schon einmal gelungen.

VAR – eine heikle Aufgabe
Stefan Horisberger steht auch als VAR (Video Assistant Referee) im Einsatz, eine heikle Aufgabe, die während der ganzen Spieldauer höchste Konzentration erfordert. «Diese Position erlaubt keine Fehler, deshalb ist es in mentaler Hinsicht auch eine echte Herausforderung», sagt Horisberger. Ist eine Offside-Position dem Tor vorausgegangen, war es ein Handspiel, das es zu ahnden gilt, muss eine gelbe Karte in eine rote umgewandelt werden oder umgekehrt – diese Details muss der VAR zusammen mit seinen beiden neben ihm vor den Bildschirmen sitzenden Kollegen möglichst rasch und vor allem fehlerfrei zur Unterstützung des Schiedsrichters beurteilen.
Natürlich wollen wir von Stefan Horisberger auch wissen, wie es um die Objektivität und Neutralität der Schiedsrichter bestellt ist, ob es wirklich keine Lieblingsteams gibt. Horisberger muss keine Sekunde zögern. «Ob Thun oder YB oder irgendein anderer Klub – es gibt wirklich keine Unterschiede. Ich kenne zum Beispiel die YB-Spieler nicht besser als die von Lugano.» Und wie steht es um die bekannt-berüchtigten Spieler wie beispielsweise Taulant Xhaka oder Lukas Görtler? Auch hier winkt Horisberger ab und schüttelt den Kopf. In den Sinn kommt ihm jedoch spontan eine Geschichte, als ihn ein Spieler während der ganzen ersten Halbzeit mit dem falschen Vornamen ansprach – Schiedsrichter und Spieler duzen sich auf dem Spielfeld. «Wir klärten dies in der Halbzeitpause und nach dem Wechsel wusste der Spieler dann, dass er mich mit Stefan ansprechen kann.»
Pierre Benoit


Stefan Horisberger wurde am 24. Juli 1988 in Thun geboren. Er war aktiver Fussballer und begann 2006 als Schiedsrichter, gemeldet ist er vom FC Heimberg. Seit der Saison 2019/20 ist er in der Super League aktiv. Horisberger arbeitet in einem 20-Prozent-Pensum beim Schweizerischen Fussballverband und zu 70 Prozent bei den SBB.


Schiedsrichter gesucht

Um für sämtliche Spiele Schiedsrichter oder Schiedsrichterinnen aufbieten zu können, ist der SFV stets auf der Suche nach Kandidatinnen und Kandidaten.
Auf seiner Homepage wirbt der SFV mit folgendem Aufruf: «Fühlst du dich im Fussball zuhause und träumst du davon, sportlich auf das nächste Level zu kommen? Oder willst du weiterhin deinen Lieblingssport ausüben und dein Zeitplan erlaubt es nicht, dem Teamtraining beizuwohnen? Als Schiedsrichterin oder Schiedsrichter betreibst du Sport und wirst sogar dafür entschädigt.»


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