Darf ich mich vorstellen? Oberhofen. MS Oberhofen

  25.07.2024 Reportagen

Das abenteuerliche Leben einer weit gereisten Heimkehrerin, Verbannung und Rückkehr. Ein wichtiges Stück Thunersee-Geschichte.

Unten im Werftbecken neben meinem Rumpf sitzen knapp ein Dutzend Leute auf meinen Salonstühlen vor einer Tischreihe und einer Leinwand. Sie warten, gewappnet mit Schreibblock und Kamera, gespannt darauf, dass sich die sechs Plätze in der Front füllen. Für einen Freitagnachmittag in der Werft sind das auffällig viele Leute und ausser denen an der Tischreihe kenne ich kaum jemanden. Während in meinem Salon noch immer drei Schreiner leise arbeiten, eröffnet unten einer meiner Besitzer die Zusammenkunft mit den Worten: «Ich begrüsse sie zur Medienorientierung. Mein Name ist Philipp Deriaz und ich heisse Sie im Namen der Berner Oberland Charterschiff AG herzlich willkommen.» Nun ist auch mir klar, was es mit dieser BOCS auf sich hat.
Mucksmäuschenstill lauschen die Gäste den Ausführungen, lassen sich alle Funktionäre vorstellen und machen sich eifrig Notizen. Der Wortführer und Marco Berger sind mir bestens bekannt, denn die zwei haben in den vergangenen Monaten viele Abende und Wochenenden hier in der Werft verbracht und unermüdlich an meiner Instandstellung mitgearbeitet. Die beiden Verwaltungsräte scheinen nicht nur handwerklich ein geschicktes Händchen zu haben, sondern sorgen auch dafür, dass eine kleine, mir wohlgesinnte Experten-Gruppe, mit im Boot sitzt. In der angenehm kühlen Werfthalle ergreift unter den Klickgeräuschen der Kameras Dr. Jürg Meister das Wort für einen geschichtlichen Abriss. Er ist es, der meine Biografie auf 164 Seiten verfasst hat. Endlich erfahre ich, dass meine drei Schwesternschiffe MS Möve, Schwan und Taucherli, mit denen ich an der Landesausstellung in Zürich 1939 im Einsatz war, allesamt in Holland und Belgien untergekommen sind. Ich wurde damals als MS Ente für Fr. 65 000.– auf den Thunersee verkauft.
Die Berner Oberland Charterschiff AG hat aber für meine Wiederinbetriebnahme einige schwierige Aufgaben gestellt bekommen. Erstens ist nicht jeder Kapitän befugt mich zu führen, dafür braucht es eine Ausbildung, zweitens benötige ich einen festen Liegeplatz, damit ich überhaupt eine Zulassung für das Verkehren auf dem See erhalte. Und drittens muss nach jahrzehntelanger nationaler Genehmigung, meine Immatrikulation in eine kantonale überführt werden, ein verwaltungstechnisches Meisterstück. Falls sie also ab September ein Schiff mit dem Kennzeichen BE 50039 auf dem Thunersee erblicken, dann bin ich das! Ich darf mit Fug und Recht behaupten, dass sich meine Trägerschaft wirklich in die Riemen gelegt und sämtliche Herausforderungen mit Bravour gemeistert hat. Meinen Besitzern ist sehr wohl bewusst, dass das ohne die Unterstützung der BLS über alle Etappen gar nicht erst zu realisieren gewesen wäre. So übergibt der Verantwortliche der BLS in offiziellem Akt meine Obhut symbolisch, mit der Überreichung des teilweise noch handgeschriebenen Bordbuches und unter dem Klatschen der Anwesenden, an die beiden Verwaltungsräte.
Die Medien-Orientierung wird geschlossen und endlich darf ich die Besucher an Bord begrüssen. Es fühlt sich herrlich an, wenn sich allerhand Interessierte kreuz und quer über mein Deck bewegen, angeregt diskutieren, staunen und sich für die schönen Details, die erhaltenen Strukturen und sorgfältig angebrachten Neuinstallationen begeistern. Ein ausgesprochen behaglicher Vorgeschmack auf einen neuen Frühling im Leben einer alten Dame. Mittlerweile bin ich auch mit neu isolierter Kajüte bestens für den Winter gerüstet. So wird sich manch eine Gesellschaft bei verschneitem Panorama beispielsweise auf einer Fonduefahrt an Bord wohl fühlen und amüsieren. Nach und nach begreife ich, dass ich tatsächlich, im hohen Alter von 85 Jahren, wieder für Charter-Fahrten auf dem Thunersee eingesetzt werde und kann mein Glück kaum fassen. Am 31. August 2024 steigt zu meinen Ehren an der Hofstetten-Ländte im Thuner Aarebecken eine grosse Feier mit Festwirtschaft und zahlreichen bekannten und weniger bekannten Thunern. Dieser Anlass wird sogar von einem Bundesrat aus unserer Region mit einer feierlichen Rede eröffnet. Natürlich hoffe ich, dass sich an diesem denkwürdigen Tag zahlreiche Begeisterte und «Gwundrige» an der Ländte einfinden, um einen anerkennenden Blick in mein Inneres zu werfen und den einzigartigen Erfolg mit mir zu feiern. Kommen Sie vorbei und werden Sie Zeuge eines neuen, fulminanten Kapitels wichtiger Thunersee-Geschichte! Ahoi, Ihr Oberhofnerli
Astrid Schmid

 


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