Darf ich mich vorstellen? Oberhofen. MS Oberhofen

  18.07.2024 Reportagen

Das abenteuerliche Leben einer weit gereisten Heimkehrerin, Verbannung und Rückkehr. Ein wichtiges Stück Thunersee-Geschichte.

Wo im Winter noch meine Kollegin, die MS Blüemlisalp, stand, habe ich die letzten Monate einen Platz gefunden. Auch wenn ich dieses Gefühl, ganz ohne Wasser am Rumpf, auf Böcken schwebend und ohne Sicht auf das schöne Berner Oberländer Panorama schon kenne, kommt es mir jedes Mal fremd vor. Im Übrigen habe ich hier in der BLS-Werft nie zuvor so viel Zeit verbracht. Trotzdem wurde mir nicht langweilig, denn ich hatte immer Gesellschaft, da mir meine neuen Besitzer eine umfassende Verjüngungskur haben zukommen lassen. Sie scheuen keinen Aufwand, mir Gutes zu tun und diese junge Generation legt sogar selber Hand an, wenn es darum geht, den Boden zu schleifen oder etwas neu zu streichen. Überhaupt wird keine Stelle an mir ausgelassen und so habe ich sogar einige Wochen oben ohne dagestanden, bevor ich ein nigelnagelneues und isoliertes Dach erhalten habe.
Es werden aber nicht einfach wahllos Installationen ersetzt oder neues Mobiliar angeschafft, nein, die Profis gehen mit sehr viel Sorgfalt und Sinn für Erhalt meiner Identität ans Werk. Das ist mir aufgefallen, als sie meine alten Leuchten wieder eingebaut haben, unter welchen schon manch eine Hochzeitsgesellschaft gefeiert, zahlreiche Paare geschwoft, Reisende aus aller Welt begeistert unsere Region bestaunt und Geschäftsleute Verträge besiegelt haben. Sogar meine bisherigen Tische im Salon kommen nach Abschluss aller Restaurationsarbeiten wieder an Bord. Dabei musste ich schmunzeln, denn die Verantwortlichen haben rasch begriffen, dass sich kein anderer Tisch auf meinem leicht gewölbten Kajütenboden kippelfrei stellen lässt. Nur der, dem Wetter ausgesetzte, Boden auf dem Achterndeck im Heck war leider nicht mehr zu retten und erstrahlt nun in neuer Pracht.
Auch das vor rund 75 Jahren hier in Thun eingebaute erhöhte Führerhaus, das für den sportlichen Kapitän über einen, im Sockel eingelassenen Tritt zu erreichen ist, erfüllt seinen Zweck ohne Einschränkung. Die Armaturen wurden sanft restauriert und obwohl ich – nicht nur für die damalige Zeit – mit moderner Antriebstechnik ausgestattet wurde, lässt sich das beim Anblick der Bedienungsgeräte nicht erahnen. Und apropos Kapitän: Während ich hier auf dem Trockenen stehe, habe ich vernommen, dass sich rund um den Chef-Kapitän bereits heute mehrere Schiffsführer in viel Eigenleistung zum Kapitän ausbilden lassen und sich daneben zahlreiche freiwillige Matrosen auf einer Liste eingetragen haben. In Kürze erscheint sogar ein Buch über meine unglaubliche Reise mit dem Titel «Bordbuch MS Oberhofen». Es ist wahrlich rührend mitzuerleben, mit welchem Enthusiasmus mir eine ganze Anhängerschaft aus freien Stücken unter den Rumpf greift und mich mit aller Kraft zurück auf das Thunerseewasser führt, nachdem ich nur haarscharf einer Versetzung auf den Walensee entging.

Ich muss aber den Abschied von einem langjährigen Begleiter verkraften. Haben Sie sich schon mal auf die verschiedenfarbigen Bälle auf den Schiffen geachtet? Die Berufsfischer führen einen gelben Ball mit, Fischer mit Schleppangel einen weissen. Und dann gibt es noch den grünen Ball. Den habe ich all die Jahre mit Stolz über den Thunersee gefahren. Er hat mir als Kursschiff gegenüber anderen Vorrangschiffen immer Vortritt gewährt. Gerade meine Geschichte zeigt, dass man nie weiss, was das Leben noch für einen bereit hält, aber ich schätze, dass der Abschied vom grünen Ball einer für immer ist.
In den letzten Wochen bemerke ich aber rund um mich eine gewisse Umtriebigkeit. Meine Förderer, Beschützer und vor allem meine Besitzer scheinen öfter mal auf die Uhr zu schauen, sprechen sich angeregt miteinander und mit allen möglichen Partnern ab. Immer wieder ist die Rede von einer gewissen BOCS, was auch immer das sein mag. Irgendetwas gibt mir das Gefühl, dass ich für was Grossartiges vorgesehen bin und wieder einmal richtig Glück im Leben habe. Ich erstrahle vom Kamin bis zur Schiffsschraube in einem neuen Kleid, sogar ein Signet wurde für mich kreiert und hier in der Werft liegen lediglich noch ein paar rot lackierte Buchstaben rum. Seien sie mit mir gespannt auf die nahe Zukunft und schon nächste Woche werde ich wieder hier berichten, was sich in der Zwischenzeit alles getan hat und was es mit dieser BOCS auf sich hat.

Ahoi, Ihr Oberhofnerli
Astrid Schmid

 

 


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